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AutorenbildBarbara Kolinowitz

Eine Ode an die richtige Schulwahl. Ode(r) nicht.

Schon relativ früh in unserem Leben dürfen oder müssen wir lernen Entscheidungen zu treffen. Manche bewusst, manche unbewusst. Manche leicht, manche schwer. Manche hart erkämpft und manche selbstverständlich. Manche lange überlegt und manche intuitiv.


Ein großer Teil des Abnabelungsprozesses zwischen Eltern und Kindern hat ja im Wesentlichen damit zu tun, dass wir entscheiden müssen, wer denn jetzt für wen welche Entscheidungen trifft oder treffen darf.


Letzteres führt dann regelmäßig zu kleineren oder größeren Diskussionen. So auch bei uns im Haus. Schon mit 2,5. Wir diskutieren zum Beispiel jeden Tag mehrmals, ob Socken aka „Sockerl“ angezogen werden oder nicht. Auch – und vor allem bei 32 (gefühlten 38) Grad Außentemperatur.


Zwei wunderschöne dunkelbraune Kringelzöpfe bauen sich vor mir auf, stemmen ihr Hände in die Hüften, stülpen die Lippen nach außen, ziehen die Nase nach oben, kneifen die Augen zusammen, runzeln die Stirn, bewegen sich mit ihrer Stimme drei Etagen nach unten und erklären mir dann: „Sottal auch!“. Eine von uns beiden bietet dann ein ganzes Potpourri an Argumenten an, warum sie glaubt, dass das nicht so gscheit ist, die andere bleibt beharrlich bei ihrem (einzigen) Argument: „Nein! Sottal auch!“ An manchen Tagen glaube ich mich der Diskussion stellen zu müssen, an anderen gebe ich gleich auf: „Happy schwitzing!“

Egal, wie ich mich entscheide, es endet im Grunde dann eh immer damit, dass das Kind Sottal an hat, weil es eben sehr beharrlich ist und durchaus auch längere Zeit in vielen Tonhöhen, -lagen, und -lautstärken das eine Argument quasi unendlich lange wiederholen kann. Ich habe das mal recherchiert. Es handelt sich hierbei tatsächlich um eine anerkannte Foltermethode.


Manchmal zieht sich das Thema der Entscheidungsgewalt sogar bis ins Erwachsenenalter, wo die Eltern lernen (oder auch nicht), dass sie für ihre Kinder keine Entscheidungen mehr treffen können oder umgekehrt: Die Kinder dann beginnen, für ihre Eltern Entscheidungen zu treffen.


Und immer wieder mal im Leben muss man sehr wichtige, einschneidende Entscheidungen treffen. „Mag ich Sushi oder nicht.“ „Wollen wir heiraten oder nicht.“ „Teil ich mein Cola mit dir oder nicht.“ Und auch: „Was will ich später mal beruflich machen?“ und „In welche Schule soll ich gehen?“.


Das ist – zumindest am Lande – bis inklusive Volksschule noch relativ simpel: Da gibt es genau 1 Kindergarten und genau 1 Volksschule und dort gehen die meisten Kinder hin. In der Stadt wird’s oft beim Kindergarten schon knifflig.


Spätestens ab 15 wird es dann tatsächlich für alle spannend. Bis dahin muss man ja zur Schule gehen und danach kann man sich frei entscheiden. Und diese Entscheidung ist insofern eine komplexe, weil man zu diesem Zeitpunkt nicht nur festlegt, ob man eine weitere schulische Ausbildung anstrebt, sondern auch welche, mit dem Ziel, den Grundstein für die spätere Berufswahl zu legen oder sich sogar schon für einen Beruf zu entscheiden.


Und leider ist das keine bloße 0:1-Entscheidung (also ja/nein). Egal, wie man sich entscheidet, die Entscheidungskette setzt sich dann ja noch fort, nämlich mit: „Ja, aber was?“ oder „Nein, stattdessen…“.

Ja: Lehre/Schule, wenn Lehre - welche, wenn Schule – mit oder ohne Matura, wenn ohne – welche, wenn mit – AHS oder BHS, wenn BHS – welche?


Und um die Komplexität noch marginal zu erhöhen müssen (wir in Österreich) nach derzeitigem Bildungssystem diese Entscheidung genau zu einem Zeitpunkt treffen, in der uns das Entscheiden besonders schwer fällt.

Ob dieses Dilemma jetzt evolutionär oder bildungspolitische Hintergründe hat, kann ich nicht ganz eindeutig beurteilen – vermutlich macht es die Kombination aus. Jedenfalls tun wir das zu einem Zeitpunkt in der die meisten von uns schon - oder noch - oder schon noch - mitten in der Pubertät stecken.


Zusammenfassend sagen die meisten Eltern an dieser Stelle dann sowas wie: Olé.


Die meisten betroffenen Jugendlichen sagen meist gar nichts, sondern bescheren uns mit einem gut einstudiertem Schulterzucken möglicherweise gepaart mit einem eloquentem „Pfff“.


Und wenn jetzt dieses „Olé“ auf ein „Pfff“ trifft, dann wird’s manchmal – die Briten würden es „interessant“ nennen…


Da gibt es verschiedene Arten von „interessant“. Zum Beispiel:


- Wir Eltern wollen, dass unsere Kinder eine Entscheidung treffen, obwohl wir noch nicht daran gewöhnt sind, unseren Kindern selbst Entscheidungen zu überlassen. Das heißt die oder der Jugendliche soll sich zuerst zu einem Thema entscheiden, die Entscheidung übers Entscheiden treffen danach dann aber wir Eltern. Du darfst entscheiden „WAS“, und dann entscheiden wir, wer entscheidet.


Solltest du zu dieser Kategorie Eltern gehören, mach dir nix draus. Trink ein Schnapserl, oder geh eine Runde laufen, was immer dich lockert. Du bist nicht alleine.


Ganz interessant auch folgende Situationen:

- Unsere Kinder dürfen selbstverständlich selbst entscheiden. Immerhin sind sie jetzt schon alt genug. Arzt oder Anwalt, das wär´ halt schon super. Tierarzt ist auch gut. Unser Kind liiiiiebt nämlich Tiere. Immer schon. Seitdem es ein Baby ist. Offiziell hat natürlich immer das Kind entschieden. Damit schlafen wir Eltern auch wesentlich besser.

Oder das Kind lebt sowieso von Vornherein den Traum der Eltern. Auch immer sehr interessant.


Noch ein Schnapserl? Oder noch 5km dranhängen.


Oder – mein persönlicher Klassiker:

- Ich sage dem Kind, das es selbst entscheiden darf. Bin dann aber mit der Entscheidung nicht einverstanden, weil ich persönlich mich anders entschieden hätte. Woraufhin ich dann ganz viele, ausgeklügelte Argumente einwerfe, warum ich glaube, dass es besser wäre, sich so zu entscheiden, wie ich es tun würde. Um dann drauf zu kommen, dass ich dem Kind ja eigentlich gesagt habe, dass es selbst entscheiden darf und einen Rückzieher mache. Zurück bleibt ein völlig verwirrtes Kind, das jetzt selbst nicht mehr weiß, was es eigentlich wollte und worum´s denn ursprünglich ging.


Als gelernte Betriebswirtin habe ich das Thema wissenschaftlich aufgearbeitet, wobei sich im Zuge der Forschungsarbeit im Wesentlichen drei Szenarien herausgebildet haben, die ich, zur besseren Veranschaulichung, grafisch aufbereitet habe:


Grafik 1: Die 3 Szenarienfelder der Entscheidungsgewalt


Kind bzw. Jugendliche/r muss also mit 14, 15 Jahren eine Entscheidung treffen, was er/sie denn später „mal werden will“ und welche Ausbildung es dazu braucht.


Meine Tochter für ihren Teil, weiß das schon im Alter von zarten vier Jahren: Sie wird Superheldin. Sie weiß auch schon, was sie dazu braucht, um ihr berufliches Ziel zu erreichen: Einen Flugrucksack. Und wenn wir Eltern ihr das nicht zum Geburtstag checken können, dann muss sich eben das Christkind darum kümmern.


Spätestens zu Weihnachten sind wir also am A…. ber das ist eine andere Geschichte.


Jedenfalls wollen wir Erwachsene mit den Jugendlichen immer darüber reden und ausloten, wohin denn die berufliche Reise letztendlich gehen soll und ziehen dabei alle uns bekannten und möglichen Register. Wir versuchen es Buddy-like: „Hey mein Freund, was willst du mal machen, ha?“ oder auf der Coaching-Ebene: „Also stell dir vor, heute Nacht, nachdem du schlafen gegangen bist, passiert ein Wunder. Und du wachst morgen Früh auf und plötzlich weißt du, was du machen willst. Was ist es?“ oder so, wie es sich für ordentliche Eltern gehört: „So, mein Kind. Jetzt setzen wir uns an den Tisch und stehen erst wieder auf, bis wir gemeinsam eine passende Lösung gefunden haben. Was willst du mal machen?“ oder im Yoga-Style: „Wir schließen unsere Augen und hören jetzt auf unsere innere Stimme. Wir atmen ganz tief durch die Nase ein und tieeef durch den Mund wieder aus.“


Spannender Weise reagieren die meisten Jugendlichen ganz gleich (egal, welche Methode angewandt wird) und wünschen sich von uns Erwachsenen im Grunde nur die Einhaltung der 3F-Regel, sie wollen:


  • Freiheit

  • Freunde

  • Fresse halten

Mit letzterem sind üblicherweise wir Erwachsenen gemeint.


So.


Und jetzt du.


Haha.


Was passiert? Schauen wir mal genauer hin:


Aus Sicht der Jugendlichen gibt es in dem Alter tatsächlich Wichtigeres, als die Schule. Kaum zu fassen, I know. Außerdem haben 14-jährige so unheimlich viel Zeit. „Was weiß ich, was ich mit 20 mal machen will?!“ Es ist doch so: Aus Sicht eines 14-jährigen siezt man einen 25-jährigen, gründet man mit 30 eine Familie (ab dann geht es eigentlich eh nur mehr bergab) und mit 40 ist man ein Komposti. Und wozu eigentlich der ganze Stress? Auf der Achse von „wichtig“ mal „dringlich“ steht dieses Thema ohnehin bei +/- 0.0


Aus Sicht der Eltern sieht die Situation üblicherweise etwas anders aus: Informationsvorsprung gepaart mit eigener Erfahrung und das zumeist auch noch im Doppelpack. Dazu kommen noch die eigenen Vorlieben und auch das Eigeninteresse, das Dilemma mit der Entscheidungskompetenz und – auch nicht zu unterschätzen – wir wollen tatsächlich immer nur das Beste für unsere Kinder und glauben zu wissen, was das ist. Wir suchen also die richtige, nein, die perfekte Wahl für unser Kind.


Und zugegeben – als Komposti tickt die Uhr nun mal schneller…


So what?

Mhm. Die Frage habe ich mir auch gestellt und deswegen höchst komplexe, langjährige, wissenschaftliche Recherchen angestellt, mit folgender Conclusio:


ES


IST


WURSCHT.


Also es ist nicht wurscht wurscht, aber es ist nicht so wichtig, wie es möglicherweise den Anschein hat.


Natürlich brauche ich für einen bestimmten Beruf eine bestimme Ausbildung. Aber jetzt mal ganz ehrlich: Wie viele von euch wussten mit 14, was sie später mal beruflich machen wollen (vorausgesetzt sie hatten damals die Wahl)? Und von denen, die damals dachten, dass sie es wissen – wie viele davon machen das heute tatsächlich (noch)?


Daher aus meiner Sicht, viel essentieller, als die Frage nach dem WAS ich lerne, ist die Frage, WIE ich lerne. Also, dass es etwas ist, das mir leicht von der Hand geht, das mir Spaß macht, wo ich mich wohl fühle, wo ich mich entfalten kann, was meinen Leidenschaften und meinen Talenten entspricht. Dann fällt mir nämlich das Lernen leicht und dann macht Lernen Spaß. Und DAS ist – aus meiner Sicht - eine wesentlich wichtigere Grundlage für mein späteres Berufsleben als jedweder Inhalt es jemals sein kann und wird.


Denn wenn ich einmal gelernt habe, das Lernen auch Spaß machen kann, dann lerne ich immer wieder gerne. Wurscht was und wurscht wann.


Meine eigene schulische Karriere? Volksschule, Unterstufe Gym, Tourismusschule, Wirtschaftsuni. Mein Beruf: HR x Lern- und Berufsberatung. Ganz klarer roter Faden. NICHT.


Was würde ich aus heutiger Sicht wählen?

Mhm… ich glaube: Volksschule, Unterstufe Gym, Tourismusschule, Wirtschaftsuni.


Warum? Weil all diese Ausbildungen und vor allem die Summe dieser dazu beigetragen haben, dass ich heute da bin, wo ich (insgeheim) als Kind schon immer sein wollte. Ja, es hat etwas gedauert, nein, es war nicht der direkte Weg und nein, ich wusste nicht immer, wohin die Reise gehen soll. Teile dieser Reise waren mega anstrengend, Teile dieser Reise zermürbend, Teile davon unvergesslich toll.


Und ich bin fest davon überzeugt, dass, wenn man später mal beruflich glücklich und erfolgreich werden will (wie auch immer man Erfolg definiert), man – bewusst oder unbewusst – irgendwann im Leben bei seinem ursprünglichen Traum landet und das macht, was man eigentlich schon immer machen wollte. Egal, welchen Background man hat.


Es ist doch so, mit 14 die „richtige“ Entscheidung zu treffen und die Ausbildung zu machen, die man später in seinem Beruf mal tatsächlich braucht, ist, wie… na, wie wenn man mich in den Baumarkt schickt und sagt: „Besorg eine „Dekupiersäge“. (Haha, ich hab´s gegoogelt, wusste selbst nicht, dass es das gibt). Ich kann euch sagen, wie mein Entscheidungsprozess ablaufen würde: Ich gehe zum Infostand, frage nach dem Gang mit den Dekupiersägen, lauere dort einer Baumarktmitarbeiterin oder einem Baumarktmitarbeiter auf, spring die oder den an, stell alle meine Fragen, die mir so einfallen und nehm´ dann die rote, die mir eh zu allererst aufgefallen ist, weil, die schaut schön aus. Und mittlere Preiskategorie ist immer gut.

Was wird ein guter Baumarktmitarbeiter machen? Er wird mich darin bestätigen und bekräftigen, dass meine Wahl hervorragend ausgefallen ist. Also bedanke ich mich noch bei dem Mitarbeiter für seine tolle Beratung und gehe vermutlich recht stolz und zufrieden nach Hause. Yeahhhh!


Habe ich die beste Dekupiersäge der ganzen Welt ausgewählt? Mit Sicherheit nicht. Werde ich mit der Entscheidung glücklich sein? Mit Sicherheit schon. Die Säge wird nämlich für mich passen. Vielleicht nicht ganz perfekt, vielleicht auch nicht für die Ewigkeit, aber ich werde damit zurechtkommen. Und am Ende des Tages war die Entscheidung die beste, die ich treffen konnte. Sie gefällt mir, ich habe sie bezahlen können und ich kann jetzt das machen, was ich machen wollte. Und sollte sich nach einiger Zeit tatsächlich herausstellen, dass ein Geschirrspüler für mein Vorhaben wirklich besser geeignet wäre, als eine Dekupiersäge: Großartig. Dann ab jetzt mit Geschirrspüler. Was aber nichts daran ändert, dass ich jetzt im Besitz einer wunderschönen roten Dekupiersäge bin und sie anwerfen kann. Harrharrharr


Ich glaube, dass wir im Herzen immer wissen, wohin wir wollen. Ich glaube aber auch, dass wir es manchmal nicht benamseln oder ordnen können oder uns einfach manchmal der Mut dazu fehlt.


Wenn ihr selbst, oder eure Sprösslinge vor so einer wichtigen Entscheidung steht und ihr auf der Suche nach einem eloquentem Baumarktmitarbeiter seid: Ihr wisst ja, wie ihr mich erreicht.


Eines ist jedenfalls fix: Meine Tochter will später mal Superheldin werden. Und ich wünsche ihr von ganzem Herzen, dass sie immer den Mut behält, an diesem Traum festzuhalten und ihn sich eines Tages verwirklicht.


Bis dahin,

alles Liebe,


Eure Barbara

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