Neulich hatte ich die ehrenvolle Aufgabe, mich in ein Freundschaftsbuch einzutragen. Für die, die das nicht kennen: Freundschaftsbücher sind zumeist A5-große Bücher, in denen man zuerst sich selbst einträgt und dann alle seine Freunde bittet, dasselbe zu tun. Jede Seite ist mit vorgefertigten Fragen bedruckt, die man ausfüllt und manchmal darf man sich noch kreativ entfalten und was zeichnen und/oder ein Foto von sich einkleben.
Als Kind hatte ich sowas auch, nur hieß das damals noch Stammbuch. Wenn sich da sonst noch jemand erinnern kann…
Jedenfalls waren die Stammbücher im Gegensatz zu den Freundschaftsbüchern meist quadratisch und ohne Vordruck, also mit leeren Seiten. Der Einband meines Stammbuches war weiß mit neon-rosa, neon-gelben und neon-blauen Klecksen, und darauf stand: „Poesie“.
Welcome to the 80s, people!
Es gab ein ganz bestimmtes Schema, wie man diese Seite im Stammbuch zu gestalten hatte. Das wusste jeder, war aber nirgends nachzulesen. Quasi ein „ungeschriebenes Stammbuch-Gesetz“. Und es begann immer mit „Zum Andenken!“ und endete mit „Zur Erinnerung an deine Freundin oder deinen Freund“. Und dazwischen – also quasi im Hauptteil – musste man ein Stammbuch-Sprücherl reinschreiben. Die waren auch nicht irgendwo nachzulesen, die musste man auch kennen. Also quasi das ungeschriebene Stammbuch-Sprücherl-Gesetz.
Ein besonders beliebtes war dieses hier:
„Ich schreibe mich aufs letzte Blatt, weil ich dich am liebsten hab. Und wer dich lieber hat, als ich, der schreibt sich sicher hinter mich.“ Für dieses Sprücherl musste man allerdings besonders schnell sein. Bekanntlich konnte sich ja immer nur einer aufs letzte Blatt schreiben. Ich habe es geliebt!
90% dieser Sprüche würde man sich heute nicht mehr niederschreiben trauen, ja nicht einmal laut aussprechen oder aufsagen…
Von Political Correctness hatten wir Kinder in den 80ern noch nie etwas gehört. Das gabs einfach nicht. Was es schon gab, war ein besonders ausgeprägter Drang nach gesellschaftlicher Ordnung. Zumindest erweckt es diesen Eindruck. Wir Kinder wurden offenbar dazu erzogen, stets zu wissen, „was sich gehört“ und „was sich nicht gehört“. Und daher waren auch ganz oft mehr oder minder diffizile Appelle in so einem Spruch verpackt:
„Sei immer brav und edel mit einem Wort ein liebes Mädl!“
Brav und edel. Herrlich.
Oder der hier:
„Fang deine Arbeit munter an, so ist sie auch schon halb getan.“
Dupdidupdidu
Von „Gendern“ war natürlich keine Rede, von Gott und der katholischen Kirche dafür umso mehr:
„Man ist das, was man vor Gott ist. Nicht mehr und nicht weniger!“ Zack. Fertig.
So war das in den 80ern. Denkt euch jetzt noch Schulterpolstern dazu, ein bisschen Discofox und Knight Rider – et voilá.
Jedenfalls hatte ich dieses Mal das Vergnügen, mich in ein Freundschaftsbuch einzutragen. Ausnahmsweise nicht als Ausfüllhilfe meiner Kinder, nein, dieses Mal durfte ich mich selbst eintragen, nämlich in ein Freundschaftsbuch eines Kindes, das zu mir in die Lernberatung kommt. Ganz ehrenvolle Aufgabe, sage ich euch. Ich war so gerührt, dass ich damit zu kämpfen hatte, diesen armen Pre-Teen nicht völlig zu verstören. Anstatt meinen Tränen freien Lauf zu lassen und zu schluchzen „Mein Gott, wie süß bist denn duhuuuu?!“ habe ich mich wirklich zusammengerissen, meine ganze Coolness auf den Tisch gelegt und geantwortet: „Na das mache ich natürlich sehr gerne! Wann brauchst du´s wieder?“
Dieses jene Freundschaftsbuch meines Schülers war ein Dino-Freundschaftsbuch. Mit einem Wackel-Schillerbild auf der Titelseite. Also nichts für schwache Nerven.
Klassischer Weise werden in diesen Freundschaftsbüchern nebst Lieblingsfarbe, Lieblingsessen, Lieblingsserie auch noch jede Menge andere persönliche Daten abgefragt (die DSVGO greift hier jedenfalls nicht).
Und weil ich mich so darüber gefreut habe, habe ich mich gleich am selben Tag hingesetzt, um das Buch zu befüllen. „Easy“ dachte ich, in 10 Minuten habe ich das erledigt.
Also schnappte ich mir die buntesten Stifte, die in diesem Alter für dieses Vorhaben besonders geeignet sind (schwarz, grau, schwarz, dunkles Dunkelblau und schwarz) und das Tyrex-Dinosaurier Freundschaftsbuch und legte los.
„Ich heiße“: Barbara
„Man nennt mich auch“: Barbara (I know. Meiner Kreativität ist heute wieder Mal keine Grenze gesetzt)
Die Stufen „Geboren wurde ich am“ „in“ und „hier bin ich zu Hause“ habe ich bravourös bewältigt. Meine Augen- und meine Haarfarbe durfte ich dann ausmalen. Also habe ich mir noch einen weiteren „Bunt“stift geholt.
Gott sei Dank gibt es keine rosa Augen.
Auch diese Hürde war geschafft. Ganz großartig.
Mit der Zeit wurde es allerdings etwas anspruchsvoller:
„Als Dinosaurier wäre ich ein:
· Tyrannosaurus Rex
· Triceratops
· Apatosaurus
· Pteranodon“
Ich habe mich dann für die kinderfreundliche Variante entschieden: Tyrex (unausgeschlafen), Apatosaurus (ausgeschlafen).
„Darin bin ich super“
Hm. Darin bin ich super…. Darin bin ich… Schlafen! Ich bin echt super im Schlafen. Vor allem seitdem ich Kinder habe. Ehrlich. Ich schwöre, ich kann jederzeit in jeder Position für jeden mir zur Verfügung gestellten Zeitraum schlafen. Darin bin ich wirklich gut. Fand ich. Aber das konnte ich so nicht schreiben – dachte ich dann auch. Also… worin war ich noch besonders gut? Phhh. Mir fiel so schnell nichts ein. Na gut, dann fange ich halt mit etwas anderem an und komme am Schluss nochmal darauf zurück.
Das Buch wollte dann von mir wissen, was ich gerne mache und ob ich ein Pflanzen-, Fleisch-, oder Allesfresser bin, was ich besonders gerne höre und welche Serie mir am besten gefiele.
Die Frage zu „meinem Lieblingsbuch“ war ja schon fast eine philosophische. Bei „die tollste Sportart“ musste ich als eher unsportlicheres Wesen kreativ werden. Ging aber.
Als ich dann auch noch gefragt wurde, welche Farben ich super finde, habe ich dann doch meinen ganzen Mumm zusammengenommen und die „echten“ Buntstifte herausgeholt. Tja – Mut kann man bekanntlich nicht kaufen.
„Was ich cool finde“… puhhh
„Was ich echt nervig finde“…. Ahhhh ähhhh …
Die beste Antwort auf diese Frage im ganzen Buch war von einem Mädchen. Sie schrieb: „Meinen Bruder“.
Ich mag Kinder. Sie sind so herrlich authentisch.
„Der spannendste Ort, an dem ich war…“ Diese Frage fand ich extrem super. Vor allem deswegen, weil sie so viele wundervolle Erinnerungen hervorruft. Doch dann konnte ich mich einfach nicht entscheiden. Es gibt einfach so viele spannende Orte auf diesem Planeten. Die unglaublich schönen Whitsunday Islands zum Beispiel, oder die Unterwasserwelt der Great Barrier Reefs. Oder die Tempelanlagen von Angkor Wat. Oder doch die „Innenausstattung“ (oder die Ermangelung dieser) von lateinamerikanischen öffentlichen Bussen? Oooooder die Damen-Toiletten meines Lieblingspubs während meiner Studentenzeit. Schwere Entscheidung.
„Das würde ich gerne mal erleben“ – Cool, das ist lei… hm. Mal nachdenken.
Oder doch die nächste Frage nehmen.
„Was ich mal werden will.“
Hrmpf.
Ich habe gegrübelt und nachgedacht. Hingeschrieben und wegradiert. Das Buch zur Seite gelegt und es mir am nächsten Tag noch einmal zur Hand genommen. Die Fragen laut und leise vorgelesen. Ich habe sogar tagsüber und nachts (mit kleinen Kindern geht das) darüber nachgedacht. Und immer, wenn ich dachte, dass ich jetzt eine „gute Antwort“ hätte, ist mir dann doch noch etwas anderes eingefallen oder sie hat mir dann doch nicht so gut gefallen, war unpassend, oder einfach nicht stimmig.
Schlussendlich bin ich wieder einmal bei meinem Mann gelandet.
„Worin bin ich eigentlich richtig gut?“ habe ich ihn gefragt. Mein Mann dachte vermutlich zuerst, dass das eine dieser Beziehungs-Fangfragen wäre. Eine, wo man, egal ob, und wenn ja, was man antwortet, einfach nicht gut aussteigen kann. Diese Fragen á la „Steht mir dieses Kleid?“ oder „Findest du mich zu dick“…. Blablabla. Aber mein Mann ist ein ganz ein schlauer, ein sehr großer Diplomat und kennt mich schon lange genug, deswegen hat er zuerst einmal geschickt nachgefragt: „Worauf genau willst du hinaus?“
Gute Strategie, sage ich euch!
Nachdem wir das dann geklärt hatten und ich ihm von meinem Dilemma erzählt habe, hat er mir dann dabei geholfen, Antworten auf … eigentlich hat er mir dabei geholfen, Antworten auf mein berufliches Leben zu finden.
Uff. War das vielleicht ein Knochenjob.
Aber als ich dann meine Antworten hatte, war ich richtig … glücklich! Und auch irgendwie erleichtert. Zu wissen, was man UNBEDINGT einmal machen möchte, zu wissen, wohin die eigene berufliche Reise gehen soll, sich einmal tatsächlich damit auseinander zu setzen und zu überlegen, worin man denn wirklich richtig gut ist! Oder was man richtig spannend findet. Und: Das ganze auch auszusprechen und aufzuschreiben. DAS ist nämlich noch einmal ein extra großer Schritt, wie ich finde. Es aufzuschreiben oder laut auszusprechen.
Habt ihr euch das schon mal überlegt? Ich meine so RICHTIG überlegt und ausgesprochen oder niedergeschrieben? Ich kann euch nur sagen, für mich war das gar nicht so einfach und wirklich richtig harte Arbeit. Immerhin geht es hier um essentielle Fragen, die ich so im Stegreif nicht beantworten konnte. Und es war großartig. Ein richtiger Glücksmoment! Ich war so aufgekratzt. Alles war so aufregend und spannend und auch irgendwie ... befreiend.
Und dann habe ich mich gefragt, wie es denn kommt, dass man sich nicht einfach öfter mal hinsetzt und sich Gedanken zu seinem (beruflichen) Leben macht, wenn die Antworten darauf so großartige Auswirkungen haben.
Vermutlich, weil es einerseits tatsächlich viel Arbeit ist und Zeit braucht. Und dabei geht es gar nicht so um die Menge an Zeit (das kann vielleicht auch schon in wenigen Stunden erledigt sein), sondern vielmehr um die Qualität der Zeit. Und es braucht auch den Raum beziehungsweise den richtigen Moment (was in diesem Fall dasselbe ist).
Ganz essentiell ist dann auch die Tatsache, dass man sich auf die Antworten einlassen muss können, die da kommen. DAS ist wahrscheinlich der eigentliche Knackpunkt: Den Mut aufzubringen, sich Gedanken darüber zu machen und sich selbst ganz ehrliche Antworten zu geben. Und auch den Mut zu haben, Antworten laut auszusprechen oder aufzuschreiben, die vielleicht so nicht ins Konzept passen, die anders sind, die nicht geplant waren, die Veränderung bedeuten würden.
Und in meinem Fall braucht es bei solchen Themen immer jemanden, der mir dabei hilft, der mir Fragen stellt, der mich durch diesen Prozess lotst. Der fragt, und nachfragt und nochmal nachfragt… Ganz behutsam und gleichzeitig ganz kritisch. Also quasi behutsam-kritisch. Nicht stoßen, aber schon ein bisschen schupsen.
Viele Menschen kommen im Laufe ihres Lebens immer wieder an den Punkt, wo sie sich fragen: „Ist das, was ich beruflich gerade mache auch das, was ich (noch immer) machen will? Ist es meine Leidenschaft? Fühle ich mich hier (noch) wohl? Oder möchte ich eigentlich ganz was anderes machen, aber...“
Und ganz oft, beginnen wir im Stillen, ganz geheim, ein ganz klein wenig zu träumen. Von dem, was uns eigentlich Spaß macht. Davon, wie wir für diesen Job, diese Aufgabe, diese Idee brennen würden und davon, wie glücklich wir dann wären, wenn…
Ganz oft packen wir diese kleinen Träume aber auch gleich wieder gut ein, verpacken das Streichholz, das uns zum Feuer führen würde gleich wieder in seiner Schachtel. Zu viel würde auf dem Spiel stehen, um uns unsere Träume zu verwirklichen.
Sicher?
Oder magst du vielleicht doch mal hinschauen...?
Also rein hypothetisch: Wenn wir ganz behutsam wären, und nur mal so tun würden, als ob wir träumen dürften, könnten wir dann vielleicht gemeinsam drüber nachdenken? Nur ein klein wenig vielleicht? Nur so ein bissal? Nur mal, um zu spüren, wie es sich anfühlen könnte?
Alles im Konjunktiv versteht sich.
Konjunktiv is super. So ganz unverbindlich. Der beißt nicht. Ist ein ganz ein lieber.
Also wenn du das machen wollen würdest, ich wäre ein sehr guter Begleiter. Ich bin gut im Fragen. Behutsam oder fordernd (oder beides), auf direktem oder indirektem Weg, ich stelle große oder kleine Fragen, viele oder wenige. Mit oder ohne Hilfsmittel. Ganz, wie du es brauchst und es für dich passt. Und natürlich im Konjunktiv, wenn du das gerne hättest.
Und wenn dich das interessieren täte, dann könntest du auch mal hierher schauen: www.lern-berufsberatung.at
Die erste Frage, die ich jedenfalls stellen würde, wäre dann: „Welche Frage möchtest du beantwortet haben?“
Oder vielleicht doch: „Und welcher Dino wärst du gerne?“
Hmmm.
Ich freu mich jedenfalls auf dich.
Bis dahin,
alles Liebe,
eure Barbara
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